Wir möchten mit einem Zitat von dir einsteigen, das sogar den Namen deiner Brand beinhaltet: »There is no finish line to the better«, sagst du immer. Was genau meinst du damit?
Es gibt kein »Endlich angekommen, jetzt bleibt alles, wie es ist«. Ich bin fest überzeugt: Jeder Einzelne, jedes Unternehmen und jedes System kann immer besser werden. »Besser« hat verschiedene Dimensionen. Das ist die große Kraft, die mich antreibt.
Neue Technologien in immer kürzeren Zyklen, höhere Anforderungen an den Einzelnen, extreme Unsicherheiten: Unsere Welt wird immer komplexer. Was bedeutet das für Unternehmen?
Man muss sich erst einmal vergegenwärtigen, dass Komplexität nicht automatisch kompliziert bedeutet. Im Gegenteil: Es ist nicht die Komplexität, die Kompliziertheit schafft. Wenn wir mit einer gewissen Distanz auf die Themen blicken, gewinnen wir Klarheit über Vorgänge und Dynamiken. Und wir erkennen Zusammenhänge, was die Grundvoraussetzung für nahezu alles ist. Wichtig ist, nicht mit Nervosität auf Probleme zu reagieren. Denn ein nervöses System kann nicht klar sehen.
Welche Ansätze verfolgst du in deiner Arbeit, um die Komplexität verständlich und zugänglich zu machen?
Wir müssen uns immer fragen, ob die Herausforderungen AN oder IN der Organisation liegen. Die daraus folgenden Veränderungen bezeichne ich als »architektonische Chirurgie«: Wir schützen das, was wertvoll ist, reduzieren das, was stört – und fügen nur das hinzu, was wirklich sinnvoll ist und noch fehlt.
Warum scheitern viele Transformationen dann?
Das frage ich mich auch (lacht). Aber ich glaube, dass oft viele Faktoren zusammenkommen: fehlender Mut, widersprüchliche Strategien, Angst, Konsequenzen tragen zu wollen, dysfunktionale Teams. Vielleicht steckt es auch in der menschlichen Natur, dass wir Veränderungen gegenüber vorerst skeptisch und vorsichtig sind. Und genau darum braucht es oft einen Blick von außen. Um Akzente zu setzen und neue Perspektiven einnehmen zu können. In den sieben hermetischen Gesetzen, deren Ursprünge im alten Ägypten liegen, heißt es: »Wie oben, so unten. Wie unten, so oben. Wie innen, so außen. Wie außen, so innen«. Genau das kann man auch auf Organisationssysteme übertragen. Alles fließt ineinander und bedingt sich. Umso wichtiger ist das »Sehen« und »Erkennen«, um den Wandel bestmöglich zu gestalten.
Wie siehst du deine Rolle als Beraterin?
Ich nehme immer das Bild eines vollkommen verknoteten Wollknäuels: Wenn ich in ein Unternehmen oder eine Organisation komme, drösele ich dieses Knäuel in all seine Bestandteile auf. Und dann liegen fein säuberlich die einzelnen Fäden nebeneinander und ich schaffe Klarheit. Und ich erkläre, mit welchen Konsequenzen zu rechnen ist. Entsprechend können wir Maßnahmen definieren und einleiten.
Wo lauern generelle Fallstricke im Transformationsprozess? Gibt es etwas, was viele Unternehmen falsch machen?
Ich beobachte oft, dass Organisationen sich zu sehr auf die Konzeption und die Planung fokussieren. Beides ist zwar wichtig – reicht aber nicht. Bei einer Transformation ist vor allem auch eine gesunde Portion Pragmatismus wichtig. Außerdem unterschätzen viele Metafähigkeiten, also sogenannte Werkzeuge, die mit Emotionen und Einstellungen zu tun haben. Denn ob wir als Team an einem Strang ziehen oder ob uns der Mut fehlt, bestimmte Konsequenzen zu tragen, hat viel mit unserer inneren Einstellung und Haltung zu tun.
Sind genau dies auch die Erfolgsfaktoren?
Ja, ich bin der Meinung, dass Metafähigkeiten, Haltung und emotionale Intelligenz gerade in der Beratung und Transformation eine entscheidende Rolle spielen. Für die neue Arbeitswelt, die ja sehr von Komplexität geprägt ist, ist es genau dieses Skillset, das es braucht. Denn Veränderung fängt schließlich bei uns an.
Du hast als leitende Managerin eines grossen Konzerns das Geschäft in China mit aufgebaut. Der »gesunde Pragmatismus«, von dem du gerade gesprochen hast, wird dort stärker gelebt als hierzulande, oder?
Ja, in China denkt man in Optionen und arbeitet wesentlich pragmatischer als in Deutschland. Natürlich setzt man sich – wie bei uns – ein Ziel und arbeitet einen Plan aus. Aber bei der Umsetzung bleiben die Chinesen offen für den Weg. Man ist sehr präsent im Hier und Jetzt und erreicht nach und nach die nächste Stufe des Besserwerdens. Es gibt ein schönes Bild, was den Unterschied sehr gut aufzeigt: Um einen Fluss zu überqueren, würde man in Europa den perfekten Bauplan einer Brücke auf Papier entwerfen und daran festhalten, auch wenn etwas in der Praxis hakt. In China legt man Stein für Stein, um ans andere Ufer zu kommen. Ich sehe das auch in der Unternehmensberatung: Viele Berater haben gute Slides, die in der Theorie logisch klingen. Aber es geht doch darum, dass die Umsetzung funktioniert. Darum ist Felderfahrung, Pragmatismus und Flexibilität so wichtig. In meiner Arbeit kombiniere ich beides: Methodik und Pragmatismus, gepaart mit einer großen Sensibilität für den Prozess.
Welche Rolle spielt der Mensch in der Organisation?
People matter! Der Mensch steht im Mittelpunkt – er prägt maßgeblich die Kultur, was wiederum das Herzstück einer Organisation ist. Sie zeigt sich überall, was den legendären Peter Drucker zu diesem fantastischen Ausspruch geführt hat: »Culture eats strategy for breakfast.« Eine gute Unternehmenskultur kann wichtiger sein als eine ausgeklügelte Strategie.
Noch eine letzte Frage zu deiner großen Leidenschaft: Tee!
Oh ja, ich starte meinen Tag immer mit einem grünen Tee und frühstücke Gedichte dazu. Das ist mein ganz eigener Zauber am Morgen, der mich durch den ganzen Tag begleitet.
Tee ist für mich viel mehr als ein Getränk. Es ist eine Lebensphilosophie. Ich finde es faszinierend, dass Teeblätter nicht lügen können. Sobald sich ihr Blatt im heißen Wasser entfaltet, kann man sehen, ob der Fermentierungsprozess gut war oder nicht. Die grünen Blätter können ihren Prozess nicht verbergen. In der Teezeremonie gibt es auch einen Grundsatz, der mich prägt: »Der Raum zwischen den Dingen ist genauso wichtig wie die Dinge selbst.« Wir Menschen sind manchmal so sehr auf Aktionen fokussiert, aber manchmal liegt in dem Raum ganz viel Wirkung und Erkenntnis. Es gibt eine Zeit der Eile und eine Zeit des Nichtstuns. Kraftvoll agieren wir, wenn wir achtsam beides tun können und wenn wir manche Dinge auch sich selbst überlassen können. Das hat dann was mit Vertrauen zu tun. Hach, können wir noch mehr über Tee sprechen? (lacht)
About
Hanh Xuan Han ist Beraterin mit Fokus auf Organizational Change sowie People & Performance. Sie spricht vier Sprachen (Deutsch, Englisch, Vietnamesisch und Chinesisch), hat einen multikulturellen Background und lebte und arbeitete auf zwei Kontinenten, in vier Ländern und sieben Städten. Als leidenschaftliche Life-Long-Lernende hat sie diverse Ausbildungen gemacht, unter anderem als systemischer Coach sowie zu den Ansätzen Facilitation und Loop Approach. Nachdem die studierte Sinologin und Betriebswirtin Führungspositionen in internationalen Konzernen innehatte, hat sie TO THE BETTER gegründet. Sie ist MDI Talent Insights akkreditiert und Professional Coach im DBVC Verband.